Streik unterm Kreuz? – Es geht weiter!

NZA 13/2011 – Unter diesem Titel schreibt im Editorial der aktuellen Ausgabe der NZA der Präsident des KGH-EKD, Thüringer Justizminister a. D. und Vorsitzender Richter am BAG a. D., Harald Schliemann.

“Das Koalitionsgrundrecht (Art. 9 III GG) und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG, Art. 137 III WRV) sind ranggleich, wie ich im Editorial „Streik unterm Kreuz” (NJW Heft 45/2009) betont habe. Streik (Zweiter Weg) und Dritter Weg schließen sich aus. Doch kann der Dritte Weg den Streik nur fernhalten, wenn er gelebt und eingehalten wird und kirchliche Einrichtungen nicht mehr oder weniger offen den Weg verlassen, um zu aus Sicht der Dienstgeber „günstigeren” Arbeitsbedingungen zu gelan­gen. Dem widerstehen sie längst nicht immer. Damit geben sie dem auf allen Ebenen intensiv geführten Streit um den Streik unterm Kreuz stets neue Nahrung. Dieser Streit dauert an. Das LAG Hamm hält Streiks in kirchlichen Einrichtungen für grundsätzlich zulässig (NZA-RR 2011, 185), das BAG wird sich mit diesem Fall befassen (1 AZR179/11). 7. und 6. Senat des BAG streiten über die Gleichwertigkeit von Zweitem und Drittem Weg. Auch die Politik nimmt sich des Themas an (Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen — BT-Dr 17/4928; Entschließungsantrag der Linken— BT-Dr 17/5523). Die Stimmen im Fachschrifttum und in der Tagespresse (etwa Willemsen/Mehrens, FAZ v. 22. 6. 2011) mehren sich. Es ist Zeit für einen Zwischenruf.

Das LAG Hamm fällt mit dem Versuch, zwischen verkündungsnahen und verkün­dungsfernen Diensten hinsichtlich des Dritten Wegs zu entscheiden, in die graue Vorzeit der Rechtsprechung des BAG zurück. Das BVerfGhat das BAG von diesem Irrweg weggeleitet(BVerfGE 70, 138 = NJW 1986, 367). Dabei muss es bleiben. Der Dritte Weg ist entgegen dem 7. Senat des BAG (BAGE 130,146 = NZA 2009, 1417) dem Zweiten Weg gleichwertig (BAG, NZA 2011, 634). Keineswegs kann sich die Dienstgeberseite stets durchsetzen; notfalls entscheidet eine verbindliche Zwangsschlichtung unter neutralem Vorsitz — auch immer wieder gegen die Dienst­geberseite. Der Bischofsvorbehalt des corpus iuris canonici macht den Dritten Weg nicht geringwertig. Ein Vorbehalt des Souveräns „Staat” ist auch dem Koalitions­recht nicht fremd (BVerfG, NZA 1996, 1157 zum Hochschulbefristungsrecht). Die Dienstgemeinschaft ist kein Zuchtinstrument, sondern eine selbstbestimmte, Dienstgeber wie Dienstnehmer umfassende Grundhaltung aus religiöser Überzeu­gung. Streik unterm Kreuz ist mit dem arbeitskampfrechtlichen Prinzip der ultima ratio nicht vereinbar,soweit der Dritte Weg gelebt und eingehalten wird.

Dies gilt auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Lagen. Das Betreiben von Einrichtungen in Caritas und Diakonie ist kein Selbstzweck, sondern gelebter Aus­druck des Selbstbestimmungsrechts der verfassten Kirchen. Deren ureigenes Selbst­bestimmungsrecht fordert, dass sich die ihnen zugeordneten Einrichtungen alle an die im Dritten Weg geschaffenen Arbeitsbedingungen redlich halten. Wird diese Redlichkeit aufgegeben, so ist der Weg für den Streik frei.”